Borreliose: Neues aus "Lyme-Land"?

Vor kurzem haben US-Patienten-vertreter vor dem Gemeinsamen Finanzausschuss ausgesagt, als es um einen Gesetzentwurf ging, der Versicherungen dazu verdonnert hätte, die ärztlich verordnete längere antibiotische Behandlung zu erstatten.  Dr. Zhang von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) berichtete aus diesem Anlass über die Umfrageergebnisse der US-Patientenorganisation Lymedisease.org und über eine Studie zu den von Lyme-Borreliose verursachten Krankheitskosten.

 

US-Versicherungskonzerne konnten ihre Kosten um 75 Prozent senken, während die Kosten von Patienten, ihren Familien, der Gesellschaft und  Regierung durch den krankheitsbedingten Produktivitätsverlust um 200% gestiegen sind. Zhangs Studie zeigt, dass und wie Versicherungskonzerne innerhalb des Studienzeitraums die Kosten über drei Jahre hinweg gesenkt haben. Für die späte Lyme-Borreliose durchschnittlich von 4.424 auf 1.380 Dollar, wobei die Kosten für diagnostische Tests relativ stabil blieben, die Behandlungskosten aber wundersamerweise verringert wurden.

 

Es gibt viele Möglichkeiten, die Kosten zu senken, am einfachsten ist es sicherlich, den Therapiezeitraum künstlich zu begrenzen. Wenn für alle Borreliosepatienten, unabhängig vom Krankheitsstadium, spätestens nach 28 Tagen laut Leitlinien Schluss ist, dann werden die Therapiekosten für Versicherer sehr berechenbar.

 

 

Die späte Lyme-Borreliose verursacht durchschnittlich und jährlich Koste von mindestens $ 20.000 (inflationsbereinigt). Versicherer tragen davon nur 12%; die Patienten müssen die restlichen 88% schultern. 

 

Auch hierzulande kämpfen die Patienten, zusammen mit der Patientenorganisation OnLyme-Aktion.orgfür längere Therapien (gerade bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium* siehe auch Seite 10 Sachstand Lyme-Borreliose) und für bessere medizinische Leitlinien. Doch es ist ein steiniger und, wie es aussieht, noch ein langer Weg. Da kann es auch nur ein kleiner Trost sein, wenn man sieht, wie es den Patienten und ihren Organisationen z. B. in Großbritannien ergeht.

 

In Großbritannien wurde der Leitlinien-Entwurf zur Lyme-Borreliose NICE veröffentlicht. Die Patientenorganisation Lymedisease UK nahm wie folgt dazu Stellung:

 

"Es ist ein unzureichendes Werkzeug für Ärzte und Patienten, das ernsthaft durch mangelnde Evidenz unterminiert wird".

 

Lyme Disease UK ist ein registrierter Akteur im NICE-Lyme-Borreliose-Leitinien-Prozess. Als größtes Patientennetzwerk Großbritanniens war die Teilnahme an diesem Prozess eine wichtige Priorität, da die Leitlinie die Behandlung von Lyme-Borreliose-Patienten auf absehbare Zeit bestimmen wird.

Das Ziel unserer Reaktion auf den Leitlinienentwurf war:

1) Die Unzufriedenheit und Ablehnung vieler Aspekte dieser Leitlinie aufzuzeigen, die für Ärzte und Patienten, die sich mit der Realität der Lyme-Borreliose im Vereinigten Königreich befassen, völlig unzulänglich ist.

2) Konstruktive Kritik zu bieten, indem vorgeschlagen wird, schädliche Informationen zu entfernen oder neu zu formulieren, um den endgültigen Entwurf (mit all seinen Haupteinschränkungen) so realistisch wie möglich zu gestalten. 

 

Der grundlegende Fehler, der sich durch die Leitlinie zieht, ist, dass sie aus der gleichen problematischen, voreingenommenen Haltung konstruiert wurde, wie alle früheren Überlegungen zur Lyme-Borreliose. Insgesamt besteht der Eindruck, dass "unnötige" Antibiotika eine größere Gefahr für den Patienten darstellen als eine unkontrollierte Lyme-Borreliose.

 

Die Leitlinie ist "evidenzbasiert", aber in einem Kontext, in dem es einen überwältigenden Mangel an Evidenzen gibt, muss der Nutzen der Leitlinien in Frage gestellt werden, und es besteht großer Anlass zur Besorgnis über den möglichen Schaden.

 

Mehr Forschung notwendig. Dringend!

 

 

- Die Leitlinie wird durch das Fehlen von Evidenzen ernsthaft untergraben

 

- Wichtige Fragen, die nur impliziert sind, werden nicht erwähnt

 

- Wichtige Probleme werden nicht offen angesprochen

 

Die Leitlinie informiert Ärzte nicht, dass Tests nicht ausreichen, um eine Lyme-Borreliose auszuschließen. Sie ermutigt Ärzte nicht, sich mit ihrem Urteilsvermögen auf eine klinische Diagnose zu fokussieren, sie weist nicht darauf hin, dass die angebotenen Behandlungsprotokolle nicht gut erforscht und sicher sind. Sie weist auch nicht darauf hin, dass eine Persistenz bei kurzen Behandlungszyklen  möglich sind, und sie enthält keinen Hinweis darauf, dass die Übertragung von Mensch zu Mensch möglich ist; abgesehen von einer schwachen Anerkennung der kongenital erworbener Lyme-Borreliose.

 

- Lyme-Borreliose "Spezialisten" - gibt es sie im Nationalen Gesundheitssystem NHS?

 

Ein "Spezialist" benötigt Training, Erfahrung oder beides. Viele Teile der Leitlinie beruhen auf der mutmaßlichen Expertise von sogenannten "Spezialisten", obwohl das Vereinigte Königreich gar keine NHS-Borreliose-Spezialisten aufweist. Viele Vorschläge in der Leitlinie beziehen sich auf "Spezialisten", die es gar nicht gibt.

 

- Ungewöhnliche Symptome und zirkuläre Logik

 

Viele Forschungsarbeiten, diagnostische Hinweise und Behandlungsempfehlungen drehen sich um eine kleine Gruppe von Anzeichen und Symptomen, die zumindest in Großbritannien allgemein eher als ungewöhnlich angesehen werden müssen. Abgesehen von der offensichtlichen Einbeziehung des (nicht universell auftretenden) EMs (Wanderröte) sind dies: Lymphozytom, Fazialisparese, Herzblock und ACA (Acrodermatitis chronica atrophicans). Die häufigen, behindernden Symptome, die bei vielen Patienten im Vereinigten Königreich auftreten wie Schmerzen, Müdigkeit und kognitive Dysfunktion werden sowohl bei den Befunden als auch bei den Empfehlungen weitaus seltener erwähnt. Folglich scheint die Leitlinie auf der Betrachtung einiger weniger ungewöhnlicher, aber beobachtbarer Zeichen aufgebaut zu sein, die durch das aktuelle Prüfverfahren zuverlässiger identifiziert werden können und eher in der Forschungsliteratur zu finden sind. Im Gegensatz dazu sind häufigere und behindernde Symptome, die schwer zu messen sind, weniger in der Literatur zu finden sind und häufig nicht durch Tests identifiziert werden, seltener hervorgehoben. Es scheint signifikant, dass die Symptome, die schlecht erforscht sind, aber sehr schwächend sind, auch mit einer schlechten Identifizierung durch die Tests verbunden sind. Dies scheint der Ausschuss nicht bemerkt zu haben.

 

- Übertragung von Person zu Person

 

Diese Themen wurden in der kurzen Leitlinie überhaupt nicht erwähnt; nur die angeborene Übertragung wurde angesprochen. Unserer Ansicht nach wäre es notwendig, auf das Fehlen von Beweisen aufmerksam zu machen und Vorsichtsmaßnahmen zu empfehlen, bis Sicherheit besteht.

 

 

- Die ernste Realität der Lyme-Borreliose

 

Es gibt in der gesamten Leitlinie so gut wie keinen Hinweis darauf, wie verheerend die Borreliose sein kann und wie schlimm die Auswirkungen für viele sind. Somit sorgt die Leitlinie dafür, dass Ärzte die Lyme-Borreliose für eine trivale Infektion halten, die langfristig keine Komplikationen verursacht. Ebenso werden die Co-Infektionen und ihre Auswirkungen auf die Behandlung ausgeblendet.   

 

 

- Nur eine kleine Untergruppe von Borreliose-Patientenwird durch diese Leitlinie abgedeckt

 

Diese Leitlinie mag einige Verbesserungen für frisch infizierte Patienten mit einem erkennbaren Erythema migrans (EM) oder für seropositive Patienten beinhalten, doch gibt es weiterhin keine Unterstützung für Patienten, die seronegativ sind oder die auf die übliche Standardtherapie nicht ausreichend ansprechen. Die Leitlinie erkennt auch nicht an, dass es einen nicht unerheblichen Prozentsat an Patienten gibt, bei denen die Therapie fehlschlägt. 

 

Lymedisease UK hat mehr als 150 Kommentare zum Leitlinienentwurf abgegeben. U. a. zu: Prävalenz und Aufklärung, zur Diagnose des EM, zu Symptombeschreibungen, zu den Tests auf IgM/IgG und falsch-positiven Ergebnisen, zum Mangel an spezifisch ausgebildeten Borreliose-Spezialisten in Großbritannien, zu den Antibiotika-Behandlungsempfehlungen und den zugrunde liegenden (schlechten) Evidenzgraden, zur Nachsorge-Empfehlung, zur Interpretation der persistierenden Symptomatik, zur Übertragung von Mensch zu Mensch, zur schockierenden, ungerechtfertigten Ansicht, dass "die meisten Patienten sich wieder vollständig erholen", zu Borreliose-Manifestationen bei Kindern u. v. m. siehe auch:     

 

 

http://lymediseaseuk.com/2017/11/08/lduk-responds-to-draft-nice-guideline/

 

Auch bei uns in Deutschland sieht es weiterhin ähnlich aus. Nach wie vor gilt: Nichts Genaues weiß man, auch wenn erste Zweifel im Ärzteblatt durch die überarbeitete Embers-Studie formuliert wurden.

 

Weiterführend:  Sachstand Lyme-Borreliose. Zahlen und Studien April 2017 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend

 

https://www.bundestag.de/blob/510388/baa593c34d8a69b231021ab2db95a208/wd-9-012-17-pdf-data.pdf

*Auf Seite 10: "Die Fragen, wann eine chronische Borreliose bei unspezifischen Symptomen vorliegt und wie lange eine Antibiotikabehandlung dauern sollte, werden kontrovers diskutiert."

 

Also nichts Neues unter der Sonne. Wie auch - ohne weitergehende Forschung.

 

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