Borreliose: Wenn Ärzte selbst erkranken - Teil 5 der Serie

In dieser kleinen Serie wechseln wir mal die Schreibtischseiten und lesen, was Ärzte berichten, die selbst an Lyme-Borreliose & Co. erkrankt sind. Hier geht es zu Teil 1, in dem die englische Ärztin Caroline Rayment ihren Fall schildert und hier zu Teil 2, dem Bericht des englischen Chirurgen Chris J. F. Wilson. Im dritten Teil der Serie finden wir die Schilderung des kalifornischen Arztes Jon Sterngold. Im vierten Teil der Serie beschreibt er, warum die Spätborreliose so schwer zu diagnostizieren und zu behandeln ist. Heute berichtet Dr. Sterngold, wie und warum diese schwere Krankheit von der US-amerikanischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten (IDSA) missachtet wird.

 

Dr. Jon Sterngold:

Es ist schwer genug für jemanden, der an den sehr beeinträchtigenden Symptomen einer Lyme-Borreliose (LB) im Spätstadium leidet, eine längerfristige und ausreichende Therapie mit Antibiotika zu erhalten. Nahezu allen Patienten geht es ohne eine solche Therapie nicht besser. Patienten den Zugang zu dieser Behandlung zu verwehren ist ein Hohn und doch geschieht dies die ganze Zeit. Patienten reisen oft Tausende von Meilen zu den wenigen LB-Experten in diesem Land (USA).

 

 

Patienten wird der Zugang zu einer Behandlung verwehrt. Wie kann das sein?

Ärzte lernen Medizin gamäß "Leitlinien" zu betreiben, da man denkt, dies sei der beste Ansatz gegen Krankheiten vorzugehen - basierend auch auf vermeintlich allem, was man bereits über eine bestimmte Erkrankung weiß. Diese Leitlinien werden in der Regel von den beruflichen und akademischen Organisationen erstellt. Im Fall der LB ist das die US-Organisation IDSA. Doch die Leitlinien wurden nur von einer handverlesenen kleinen Anzahl von "Experten" geschrieben, die gezogenen Schlussfolgerungen weisen jedoch zahlreiche "Pointen" auf.

 

Die IDSA-Leitlinien zur Lyme-Borreliose weisen zahlreiche "Pointen" auf

Einer dieser Pointen: LB sei selten und leicht zu behandeln. Eine weitere Pointe: Wer nach der Standardtherapie noch über Symptome klagt, leidet nicht mehr an LB und sollte auch nicht länger mit Antibiotika behandelt werden, da vermeintlich die Nebenwirkungen zu groß sind und es klinisch keine Verbesserung gebe. Die Leitlinienautoren schlussfolgern, dass zahlreiche Borreliosepatienten mit neurologischen und psychischen Symptomen ganz simpel an einer Depression leiden oder Hypochonder seien, die man zur psychiatrischen Untersuchung schicken muss.

 

Da die meisten Ärztekammern in den meisten US-Bundesstaaten diese IDSA-Leitlinien übernommen haben, drohen Ärzte, die anders/länger therapieren, ihre Zulassung zu verlieren.  Anmerkung: In anderen Ländern verhält es sich ähnlich, da sich die meisten nationalen med. Gesellschaften, die Leitlinien erstellen, sich stark an den US-Leitlinien anlehnen. Insofern haben die IDSA-Leitlinien großen Einfluss auf die Diagnostik und Therapie der LB weltweit. Leider.


Hier eine Zusammenfassung über die Interessenskonflikte der ID$A-Leitlinienautoren:
https://s3.amazonaws.com/s3.documentcloud.org/documents/457638/0000-ad-hoc-intl-lyme-group-conflicts-amp-idsa.pdf

 

Das ist der Hauptgrund, warum wirksame Therapien den Patienten vorenthalten werden. Die wenigen Ärzte, die trotz der Gefahren für ihre Zulassung ihre Patienten länger therapieren, stellen fest, dass vielen Patienten dadurch geholfen wird, dass sie sehr viel länger Antibiotika erhalten. Viele benötigen ein bis drei Jahre antibiotischer Therapie, um eine deutliche Verbesserung zu erreichen.

 

Bis heute weiß man nicht genau, warum man so lange therapieren muss, bis eine Besserung eintritt, das aber hat die Position der IDSA nicht verändert. Man weiß auch längst, dass die Leitlinienautoren der IDSA mit massiven Interessenskonflikten belastet sind - einem gehört z. B. die Borrelien-Bakterien-DNA, einige andere sind finanziell eng mit Versicherungskonzernen verbunden, die sich freuen, dass LB angeblich nicht chronisch wird und alle haben viel zu verlieren, wenn man ihnen nachweist, dass sie falsch liegen.

 

Die Erfahrungen der letzten 25 Jahre, die Patienten und Ärzte bei der Behandlung der LB gemacht haben, deuten jedoch sehr deutlich darauf hin, dass die Leitlinienautoren falsch liegen. Es gibt zunehmende Hinweise, die zeigen, dass die späte LB definitiv anders behandelt werden muss, als die IDSA-Autoren es beschreiben.

 

Es gibt noch weitere Gründe, warum Ärzte nur sehr ungern späte LB behandeln, denn sie wissen, dass es phänomenal schwierig ist. Die Tests sind fehlerhaft und teuer, das Ansprechen auf die Therapie geschieht nur langsam und ist voller Rückschläge. Die Therapie ist teuer und die Patienten leiden häufig an einer Fülle von schwächenden Symptomen.

 

Als ehemaliger Notarzt, der Wunden genäht und Menschen schnell wieder "geheilt" nach Hause geschickt hat, weiß ich, dass es einer besonderen Haltung bedarf, um sich einer solchen Herausforderung wie der späten LB zu stellen. Ich glaube nicht, dass ich solche Fälle übernehmen wollte.

 

In meinem Bericht konnte ich nur einen winzigen Bruchteil dessen schildern, was ich während der letzten dreieinhalb Jahre mit Spät-Borreliose gelernt und erfahren habe - als Patient und als Arzt. Es gibt leider noch so viel mehr.

Quelle: https://www.lymedisease.org/226/

 

Übersetzung, Zusammenfassung: B. Jürschik-Busbach © 2015
 

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