Zur Abwechslung
wechseln wir in einer kleinen Serie mal die Schreibtischseiten und lesen, was Ärzte berichten, die selbst an Lyme-Borreliose & Co. erkrankt sind.
Beginnen wir mit Caroline J. Rayment aus West Yorkshire.
Sie erkrankte im Sommer 2009 nach einer 5-wöchigen Reise mit ihrer Familie durch Zentral- und Osteuropa und erinnerte sich an zahlreiche „Insektenstiche“; einer davon entzündete sich während der
letzten 10 Tage ihrer Reise.
Eine Woche später entwickelte sie eine halbseitige Gesichtslähmung und wurde von ihrem Arzt hochdosiert mit oralem Kortison verarztet. Einige Tage später sagte sie ihm, dass sie glaube, an
Borreliose erkrankt zu sein. Sie wurde zur örtlichen Infektiologie verwiesen, dort durchlief sie mehrere Untersuchungen und erhielt die Diagnose: Neuroborreliose. Dank der erhaltenen
Kortison-Therapie entwickelte sie keinen positiven Antikörper-Test. In jenem Monat war sie sehr ernsthaft krank, mit Fieber, schwerer Erschöpfung und massiven Konzentrations- und
Kommunikationsproblemen. Sie hatte Schwierigkeiten beim Gehen und litt unter „Gehirnnebel“.
Im Verlauf von acht Monaten verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand immer mehr. Sie war nicht mehr in der Lage, zu arbeiten, konnte kaum noch einem Gespräch folgen, hatte
Gleichgewichtsprobleme, litt an Erschöpfung und entwickelte eine periphere Neuropathie. Das alles im Alter von 37 Jahren. Sie nahm die Ratschläge ihrer medizinischen Kollegen an und versuchte es
mit Sport. Angesichts ihrer Frustration über die ausbleibende Besserung, betonte ihr behandelnder Arzt, sie werde leitliniengerecht behandelt und müsse notfalls akzeptieren, dass es nicht besser
würde.
Nach 10 Monaten ging sie zu einem Rheumatologen, der Erfahrung mit der Behandlung von Borreliose hat. Er meinte, sie zeige Symptome einer aktiven Infektion und begann mit einer sich wiederholenden antibiotischen Therapie mit Amoxycillin, Azithromyzin und Tinidazol. Zunächst wollte sie diese Behandlung nicht, doch angesichts ihres Gesundheitszustands beschloss sie, wenigstens einen einwöchigen Versuch zu unternehmen und notfalls, wenn sich Nebenwirkungen zeigen sollten, wieder damit aufzuhören.
Nach acht Wochen konnte sie wieder mit der Arbeit beginnen – es war noch nicht alles wieder gut, aber sie konnte wieder gehen und Auto fahren. Der Gehirnnebel hatte sich gelegt und sie konnte
auch wieder kommunizieren. Doch immer noch litt sie unter schwerer Erschöpfung und hatte regelrecht Angst vor ihren Patienten. Sie wurde weitere 24 Wochen mit Antibiotika behandelt. Im Laufe des
Folgejahrs konnte sie nach und nach wieder 3 Tage pro Woche mit ihren medizinischen Kollegen in der Gemeinschaftspraxis arbeiten.
Sie schreibt: Vor 2 Jahren und 10 Monaten erlitt ich die Halbseitenlähmung. Ich fühle mich inzwischen gut und bin symptomlos. Was habe ich gelernt? Ich habe gelernt, dass Leitlinien nur Leitlinien sind, die nicht immer auf jeden Patienten angewendet werden können und dass die klinische Einschätzung mindestens genauso wichtig ist. Inzwischen arbeite ich bei einer Organisation, die sich mit den Ungewissheiten bei der Lyme-Borreliose beschäftigt, denn – nach meiner Erfahrung, gibt es davon zuviele.
Quelle: http://www.bmj.com/content/344/bmj.e3250/rr/591128
In der
nächsten Folge schildert der amerikanische Chirurg Chris J.
F. Wilson seine „Jahre mit Lyme-Borreliose“.
B. Jürschik-Busbach © 2015
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