Borreliose: Die weltweite Suche nach Antworten, Teil 5 - Frankreich

Die Huffington Post hat in einer bemerkenswerten Serie die weltweite Suche nach Antworten zur Lyme-Borreliose im fortgeschrittenen Stadium beleuchtet und dabei Fachleute aus verschiedenen Ländern interviewt. Hier eine Zusammenfassung des englischen Artikels über Deutschland (Folge 4) die Niederlande (Folge 3), über Norwegen (Folge 2) und die Einleitung zur Serie.


"Chronische Lyme-Borreliose gibt es aufgrund der Persistenz von Borrelien im Gewebe - ebenso wahrscheinlich wird sie auch durch andere Mikroorganismen, die für Co-Infektionen verantwortlich sind, verursacht."
Dr. Christian Perronne

Die Gefahren, die von Zecken übertragenen Infektionskrankheiten ausgeht, einschließlich des Eingeständnisses, dass insbesondere die Lyme-Borreliose eine der häufigsten und am schnellsten wachsende Krankheit ist, wurde inzwischen auch in den USA eingeräumt.


Werfen wir einen Blick auf die Situation in Frankreich. Dr. Christian Perronne ist Professor für Infektions-und Tropenkrankheiten an der Medizinischen Fakultät Paris - Ile de France-Ouest, Universität Versailles-St Quentin, Frankreich. Er ist Chef der Abteilung für Medizin an der Universitätsklinik Raymond Poincaré in Garches (Hauts-de-Seine) und ist Präsident der Kommission für übertragbare Krankheiten des Hohen Rats für Public Health. Chantal Perrin ist der Produzent des mit Spannung erwarteten neuen Dokumentarfilms über die globale Epidemie Lyme-Borreliose, der im Oktober 2013 (von Frankreich Channel 5 co-produziert ) ausgestrahlt wurde. Judith Albertat ist Präsidentin der Vereinigung Lyme Sans Frontières.

Wie hoch ist die jährliche Inzidenz der Lyme-Borreliose in Frankreich?

Christian: Die Inzidenz der Lyme-Borreliose in Frankreich ist offiziell rund 9 pro 100.000 Einwohner. sie in einigen Regionen wie dem Elsass, in der Nähe von Deutschland, höher. Diese Häufigkeit wird wahrscheinlich sehr unterschätzt. Wir haben keine verlässlichen Statistiken über andere durch Zecken übertragene Krankheiten.

"Die Regierungen in der ganzen Welt müssten multidisziplinäre Treffen organisieren, in denen Wissenschaftler, Ärzte, Biologen, Tierärzte und Patienten-Organisationen miteinander sprechen und über neue Erkenntnisse zugunsten der Opfer informieren."
Judith Albertat

Die CDC hat vor kurzem angekündigt, dass es in den USA 300.000 neue Borreliosefälle pro Jahr gibt - 10 Mal mehr Fälle als bisher angenommen wurde. Glauben Sie, es ist für die französischen Behörden an der Zeit ähnliche Studien über die Borreliose-Inzidenzin Frankreich zu initiieren?

Judith: Es ist höchste Zeit, dass französische Behörden lebensnahe Studien durchführen. Wissenschaft allein ist nicht ausreichend, um das Rätsel der Lyme-Borreliose zu erklären und zu lösen. Wir müssen unsere Gedanken der Realität öffnen, unser Verhalten ändern und akzeptieren, dass wir in die Irre geführt wurden. Es ist Zeit für einen tiefgreifenden Wandel in der Art und Weise, wie die Regierung die Studien zur Lyme-Borreliose handhabt.

Sie haben die Situation in Frankreich für Ihren Dokumentarfilm untersucht. Wie sehen Sie die Situation in Frankreich?

Chantal: Die Situation in Frankreich ist einer der schlimmsten. Die meisten Ärzte kennen entweder die Lyme-Borreliose nicht oder leugnen ihre Existenz. Die Behörden ordnen strenge Leitlinien an, von den IDSA-Leitlinien kopiert. Es wird gegen Ärzte oder Biologen geklagt, die diese Leitlinien ignorieren, um Patienten zu helfen. Die chronische Lyme-Borreliose wird nicht anerkannt. Es gibt überhaupt keine Informationen für Angehörige der Gesundheitsberufe und keinerlei Prävention. Auch in Wäldern und Forsten, die für infizierte Zecken bekannt sind, gibt es keine Informationen für die Öffentlichkeit. Als ich mit der Erforschung der Borreliose begann, war ich überrascht, wie oft das Wort Leugnen mit Lyme-Borreliose verbunden ist. Wie kann eine Krankheit verleugnet werden?

Welche Schwerpunkte verfolgt Lyme Sans Frontières?

Judith: Unsere Organisation wurde im März 2012 gegründet. Wir kämpfen mit allen rechtlichen Mitteln gegen die Verleugnung der Lyme-Borreliose. Dazu gehören nicht nur die Organisation von Demonstrationen und das Aufrütteln und Treffen mit den Gesundheitsbehörden und den Regierungsministern, sondern auch Hilfe für jede Person, die von der Lyme-Krankheit betroffen ist, einschließlich verfolgter Ärzte und Patienten, die in unerträglichen Situationen zurück gelassen werden.

"Der wichtigste Punkt für die Forschung ist der Mangel an Finanzierung. In den meisten Ländern werden Forschungsprojekte, die nicht mit der "offiziellen Version" der Lyme-Borreliose durch die IDSA  konform gehen systematisch abgelehnt."
Dr. Christian Perronne

Gibt es einen zuverlässigen Test für Lyme-Borreliose in Frankreich? Sind Ihnen neue Entwicklungen bekannt?

Christian: Die Tests in Frankreich sind die gleichen wie in den USA. Das französische Nationale Referenzzentrum folgt den IDSA-Leitlinien im Gefolge der EUCALB. Diese serologischen Tests sind nicht empfindlich genug, um alle Fälle zu erkennen. Ich glaube, die Entwicklung zuverlässiger diagnostischer Werkzeuge für die Lyme-Borreliose sollte eine globale Priorität sein.

Glauben Sie, dass Ärzte in Frankreich die Symptome, die durch diese Krankheit ausgelöst werden adäquat behandeln?


Christian: Ärzte in Frankreich können diese Krankheit nicht adäquat handhaben, da es keine verlässlichen Tests für die Diagnose und keine Follow-ups gibt. Aus wissenschaftlichen Publikationen bei Tieren und Menschen wissen wir, dass Borrelien im Gewebe persistieren können,  trotz mehrmonatiger geeigneter Antibiotika-Behandlungen.

Was tun "gute Ärzte"?

Chantal: Sie behandeln ihre Patienten nach ILADS-Methoden und riskieren Strafen. Die Sozialversicherung nutzt die (IDSA)-Leitlinien, obwohl diese nur Empfehlungen und nicht Gesetze sind. Gute Ärzte sind völlig überlastet und riskieren ihre eigene Gesundheit, um der Nachfrage gerecht zu werden.

Einige Patienten reisen nach Deutschland oder in die USA, um die richtige Behandlung zu erhalten. Es gibt nicht viele Ärzte in Frankreich, die sich mit Borreliose auskennen und man muss wirklich Glück haben, richtig diagnostiziert zu werden. Letzte Woche wurde ein 9-jähriges Kind mit einem riesigen schmerzhaften Erythema migrans (das offensichtlichste Symptom), Fieber und einem Zeckenstich zu zwei der wichtigsten Krankenhäuser in Paris gebracht. Es verbrachte mehr als eine Woche dort in einem alarmierenden Zustand, und wurde dann mit der Diagnose "Sonnenbrand" nach Hause geschickt. Das Kind wurde wieder ins Krankenhaus gebracht, weil es ihm immer noch schlecht ging. Erst nach einigen Tagen diagnostizierte man Borreliose. Man gab dem Kind fünf Tage lang Antibiotika und schickte es wieder nach Hause. Das entspricht noch nicht einmal den erwähnten Leitlinien. Die Leitlinien empfehlen 3 Wochen. Die meisten Ärzte hier wissen nichts oder Falsches über Lyme-Borreliose. Beispielsweise denken sie, Borreliosesymptome seien Gelenkschmerzen. 


"Als ich mit der Erforschung der Borreliose begann, war ich überrascht, wie oft das Wort Leugnen mit Lyme-Borreliose verbunden ist. Wie kann eine Krankheit verleugnet werden?" Chantal Perrin

Was glauben Ärzte, die sich mit Borreliose nicht auskennen, woran ihre Patienten leiden?

Chantal: Sie schicken Patienten zu einem Psychotherapeutenoder sie verschreiben Schmerzmittel. Sie haben auch keine Ahnung, was Co-Infektionen sind.

Hier in Frankreich können Menschen keinen PCR-Test erhalten; aber für den Hund kann man ihn bekommen. Einige Tierkliniken helfen den Borreliose-Ärzten und erledigen die PCR -Tests (DNA) für die menschlichen Patienten (nicht offiziell natürlich).

Was bedeutet chronische Lyme-Borreliose für Sie?

Christian: Chronische Borreliose gibt es aufgrund der Persistenz von Borrelien im Gewebe, aber wahrscheinlich auch durch andere Mikroorganismen, die für Co-Infektionen verantwortlich sind. Die Anzeichen und Symptome können den gesamten Bereich der verschiedenen medizinischen Fachrichtungen abdecken. Lyme-Borreliose ist jetzt, nach der Syphilis, der große Imitator. Es gibt wahrscheinlich noch andere Faktoren für die Entwicklung von chronischen Krankheiten wie genetische, immunologische, umweltbezogene, Stress, etc.

Welcher zusätzlichen Forschung sollten Wissenschaftler auf der ganzen Welt Vorrang geben, um die Herausforderungen einer Suche nach einem Heilmittel für Lyme-Borreliose zu bewältigen?

Christian: Der wichtigste Punkt für die Forschung ist der Mangel an Finanzierung. In den meisten Ländern werden Forschungsprojekte, die nicht mit der "offiziellen Version" von Lyme-Borreliose der IDSA konform gehen systematisch abgelehnt. Die Forschung sollte sich auf neue Diagnose-Instrumente konzentrieren und nicht nur auf die Serologie. Forschung sollte auch die Co-Infektionen beinhalten. Neue therapeutische Protokolle sollten gemäß der Erfahrung von vielen Ärzten in der Welt entwickelt werden, die den Zustand ihrer Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose lindern konnten.

Wie können wir die notwendige Forschung für zeckenübertragene Erkrankungen beschleunigen?

Judith: Die Regierungen auf der ganzen Welt müssen multidisziplinäre Treffen organisieren, bei denen Wissenschaftler, Ärzte, Biologen, Tierärzte und Patienten-Organisationen miteinander sprechen und über neue Erkenntnisse zugunsten der Opfer informieren. So würde die Realität mit der Wissenschaft zusammentreffen, um lebensnahe Therapien voranzutreiben. Beschleunigte Forschung geht einher mit Zuhören und mit der Begegnung mit Menschen, die umfangreiches Wissen über diese Krankheit haben, aber das haben die Wissenschaftler noch nicht gehört .

Welche Präventionsmethoden nutzt man gegenwärtig in Frankreich? Vom Präventionsstandpunkt aus betrachtet: Was müsste noch getan werden? Ist ein Impfstoff machbar?

Christian: Ein guter Bericht über Prävention in Frankreich wurde von der Haut Conseil de Santé Publique (HCSP) geschrieben. Es ist im Internet (auf Französisch) zu finden, aber nur wenige Menschen wissen das.

Ein Impfstoff ist wohl möglich, würde aber nur mit einem Stamm arbeiten. (...) Ich weiß, dass Pharma-Unternehmen versuchen neue Impfstoffe zu entwickeln.

 

B. Jürschik-Busbach © 2013

Quelle: http://www.huffingtonpost.com/c-m-rubin/the-global-search-for-edu_b_3876682.html

 

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In den nächsten Folgen werden wir uns noch mit Borreliose in Kanada, Australien und Finnland beschäftigen.

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Kommentare: 4
  • #1

    Lola (Dienstag, 26 November 2013 10:07)

    Die Situation ist noch schlimmer als erwähnt!
    Pathologie von Patienten mit 2 positive PCR (leider aus Deutschland), PCR auf ACA bedeutend sogar in IDSA Leitlinie und französichem Consensus von Dezember 2006 als Beweiss einer sichere aktive Infektion werden hier nicht anerkannt und damit nicht behandlet. Besser noch, eine "französiche PCR" würde verweigert!
    Besser noch : Als Referenz zur Borreliose gegrundet würde war der Sitz in Paris im Institut Pasteur (CNR Centre National de Référence). In Strasbourg war ein Labor (an der Spitze B. Jauhlac, expert bei Eucalb und Unterschriffter von dem französiche Consensus) der "laboratoire associé" (Partnerlabor)gennant wûrde. Zeit Januar 2012 ist dieser Labor von Strasbourg als National Referenz Center vom einem Staatsverordnung bestimmt worden.
    Sucht mann noch woher das Leiden der Patienten her kommt?
    Wohnt mann nicht in der Nähe von Paris, keine Chance!

  • #2

    Lola (Dienstag, 26 November 2013 10:18)

    Ach ja, ich habe etwas wichtiges vergessen!
    Ich lebe in Elsass!

  • #3

    Birgit Jürschik-Busbach (Dienstag, 26 November 2013 11:08)

    Danke, Lola, für Deinen Kommentar und Deine Ergänzungen!

  • #4

    Judith (Montag, 02 Dezember 2013 09:27)

    Ein sehr informativer Beitrag mit Informationen, die mir bis dato in dieser Form gar nicht bekannt waren.