Eines der
ersten Projekte sollte die Verbesserung der Sensitivität der Borreliose-Tests für chronische Borreliose-Patienten weltweit sein. Über eine 1 Million Euro hat die
Europäische Union für die Entwicklung eines hochempfindlichen, noch laufenden Lab-on-a-Chip-Projekts ausgegeben." Dr. Armin Schwarzbach
Die Huffington Post hat in einer bemerkenswerten Serie die weltweite Suche nach Antworten zur Lyme-Borreliose im fortgeschrittenen Stadium beleuchtet und dabei Fachleute aus verschiedenen Ländern interviewt. Hier eine Zusammenfassung des englischen Artikels über die Niederlande (Folge 3), über Norwegen (Folge 2) und die Einleitung zur Serie.
Die
Gefahren, die von Zecken übertragenen Infektionskrankheiten ausgehen, einschließlich des Eingeständnisses, dass insbesondere die
Lyme-Borreliose eine der häufigsten und am schnellsten wachsenden Krankheiten ist, wurde inzwischen auch in den USA eingeräumt.
In diesem Teil der Serie wird ein Blick auf zeckenübertragene Krankheiten in Deutschland geworfen. Zu Wort
kommen die ILADS-Mitglieder, Dr. Carsten Nicolaus und Dr. Armin Schwarzbach von der
BCA-Klinik in Augsburg. (Carsten = Medical -und Executive
Director der BCA-Klinik und Spezialist für zeckenübertragene Krankheiten, insbesondere Lyme-Borreliose. Armin ist ein Spezialist in der Labormedizin des BCA/ Infectolab und internationaler
Experte des Chief Medical Officer's Clinical Advisory Committee über Lyme-Borreliose in Australien (CACLD) und Mitglied der neuen Arbeitsgruppe für die Lyme-Krankheit der Haut Conseil de la Santé
Publique, Paris, der Deutschen Borreliose-Gesellschaft und der Schweizerischen Vereinigung für zeckenübertragene
Krankheiten.
"Mehr als 90 % der Patienten unserer
Klinik leiden unter Co-Infektionen." - Dr. Carsten Nicolaus
Wie hoch ist die jährliche Inzidenz der Lyme-Borreliose in Deutschland?
Armin: Der "offizielle" Zahl
des IDSA-orientierten Nationalen Referenzzentrums in München lautet: 60.000 - 100.000 pro Jahr in Deutschland. Die geschätzte Zahl in Deutschland nur für die Wanderröte (EM) lag 2008 bei 753.000. Aber wir wissen, dass, aufgrund
mehrerer Subspezies, insbesondere B. burgdorferi garinii, nicht jeder frisch
infizierte Patient in Deutschland eine Wanderröte entwickelt. Daher kann man von einer doppelt so hohen Anzahl von
Borreliose-Infektionen in Deutschland ausgehen: 1.500.000 frisch infizierte Borrelien-Patienten jedes Jahr.
Carsten : Im "Epidemiologischen Bulletin" vom 10. April 2012 berichtete das Robert Koch-Institut eine Inzidenz zwischen 111 und 260 Fällen pro 100.000 Einwohner in zwei bevölkerungsbasierten,
prospektiven Kohortenstudien.
Im März 2013 wurden folgende Zahlen veröffentlicht: Aktuelle Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass nach einem Zeckenstich 1,5% - 6% aller betroffenen Menschen eine Infektion auftritt
(einschließlich klinisch unauffälliger Fälle), und dass sich bei 0,3 - 1,4 % eine manifeste Krankheit etabliert.
Wir,
als eine Minderheit der Ärzte, die sich mit Lyme-Borreliose auskennen, wissen durch spezielle Labortestergebnisse, dass nahezu alle Patienten noch Borrelien-Aktivität in ihrem Blut haben. Eine
Situation, die sich nach weiterer antibiotischer Strategie, insbesondere gegen Co-Infektionen, verbessert."
- Dr. Armin
Schwarzbach
Können Sie etwas zur jährlichen
Inzidenz anderer durch Zecken übertragener Krankheiten sagen, die in Deutschalnd endemisch sind?
Carsten: Über 90 % der Patienten, die wir in unserer Klinik sehen, leiden unter
Co-Infektionen. Sehr
häufig sind Infektionen wie Ehrlichia/Anaplasma (ca. 30 %), Bartonella (ca. 30 - 40%), Rickettsia (ca. 3 - 4 %); zunehmend tritt auch eine Babesia-Infektion als Protozoen-Co-Infektion auf.
Der wichtigste Vektor in Deutschland ist die Zecke Ixodes ricinus.
Allerdings gibt es auch eine wachsende Zahl von lokalen Populationen von Dermacentor reticularis-Zecken, die aus der Balkan-Region in den letzten Jahren eingewandert sind und überwiegend
Babesieninfektionen verursachen.
Zusätzlich zu den Co-Infektionen , die direkt durch einen Zeckenbiss übertragen werden, beobachten wir eine Menge anderer Co- Infektionen wie Chlamydien und Mykoplasma pneumonia, Yersinia und
eine Vielzahl viraler Infektionen wie EBV, Coxsackie, CMV und HSV .
In den letzten Jahren traten auch regelmäßig durch
Zecken übertragene Enzephalitis-Fälle auf - insgesamt etwa 250 Fälle pro Jahr .
Armin:
Es gab in der Vergangenheit keine Studien über die Häufigkeit anderer von Zecken übertragener Krankheiten und ist auch keine Studie in Deutschland vom NRZ geplant. Dennoch wissen wir, dass etwa
6-8 % aller Zecken in Deutschland auch Vektoren für Bartonella, Ehrlichia/Anaplasma, Babesia oder Rickettsia in endemischen Regionen sind. Bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose
und bei Patienten mit rheumatoider Arthritis oder Fibromyalgie sind rund 30 % sind mit Ehrlichia/Anaplasma und einige von ihnen auch mit Rickettsia und Bartonella-Co-Infektionen belastet.
Die Babesiose scheint eine weitere endemische Infektion zu sein, die
besonders durch die Zeckengattung der Dermacentor Zecke übertragen wird.
Kommen Patienten mit Lyme-Borreliose und
anderen zeckenübertragenen Infektionen auch aus anderen Teilen der Welt zur Behandlung nach Deutschland? Wie ernst ist das
Problem?
Armin: Vor 12
Jahren begann ich mit Patienten aus Deutschland, in dem Glauben, dass es sich vor allem um eine endemische Infektion im südlichen Teil Deutschlands und in Österreich handelt.
Heutzutage diagnostizieren wir Patienten mit genau den gleichen Symptomen und entsprechenden Laborwerten aus fast allen Ländern der Welt, darunter Norwegen, Dänemark, Finnland, Schweden,
Russland, Belgien, Frankreich, Niederlande, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern, Rumänien, Bulgarien, Slowenien,
Ungarn, England, Irland, Schottland, und auch aus Australien, Singapur, Dubai, China, Südafrika, Neuseeland und andere. Je mehr man sich mit
zeckenübertragenen Krankheiten in den Ländern beschäftigt, desto mehr werden Sie finden, obwohl einige der Co-Infektionen in einigen Ländern besonders endemisch zu sein scheinen.
Meine Eindrücke sind, dass Lyme-Borreliose epidemisch ist und die Co- Infektionen endemisch
sind.
Glücklicherweise hat die Zahl
der Ärzte, die Lyme-Borreliose und ihre Co-Infektionen ernst nehmen in den letzten Jahren stark zugenommen." Dr. Carsten Nicolaus
Gibt es einen zuverlässigen Test für Lyme-Borreliose in Deutschland? Sind Ihnen neue Entwicklungen
bekannt?
Carston: Neben den klassischen serologischen Tests
wie ELISA und Western Blot stehen weitere Tests wie PCR zur Verfügung. Darüber hinaus bieten viele Labore
sogenannte zelluläre Tests wie den Lymphozyten Transformationstest ( LTT) oder der Elispot LTT und den CD- 57 -Test an. Diese Testverfahren können
bessere Informationen über den chronischen Verlauf der Krankheit und den aktuellen Grad der Aktivität der Infektion liefern.
Ein europäisches
Forschungsprojekt versucht derzeit eine neue Test-Technologie zu entwickeln, in Form eines "Biochips" - siehe: www.hylisens.eu. Jedoch ist diese Technik noch nicht in der
Routine-Labordiagnostik angekommen.
Wir brauchen einen zuverlässigeren Test für Lyme-Borreliose und andere
zeckenübertragene Krankheiten. Sollte dies die wissenschaftliche Priorität für Lyme-Borreliose
weltweit sein?
Armin: Eines der ersten Projekte sollte
die Verbesserung der Sensitivität der Tests für chronische Borreliose weltweit sein. Viele Ärzte glauben an die durch IDSA-Kriterien behaupteten fast 100 % ELISA-Sensitivität.
Doch neuere Studien zeigen, dass die Sensivität bei 30-40% liegt. So werden 60-70% der Borreliose-Patienten durch Tests, statt durch die klinische Symptomatik falsch
diagnostiziert. Aus diesem Grund hat die
Europäische Union mehr als 1 Million Euro für die Entwicklung eines hochempfindlichen Chip-Projekts zur Verfügung gestellt ( www.hilysens.eu ). In diesem Projekt wurden neue Borrelienantigene geklont, um die Sensitivität des Tests deutlich
verbessern. Dennoch wird es 3-5 Jahre dauern, bis diese Ziele erreicht werden.
"Wir
legen sehr viel Wert auf die Verhinderung von Zecken- und anderen Insektenstichten, durch Repellents, das Tragen der richtigen Kleidung, Informationen über die Expositionsrisiken und über
die Symptome von frischen und chronischen Infektionen. Aber es muss weltweit mehr getan
werden."
- Dr. Armin Schwarzbach
Glauben Sie, dass Ärzte in Deutschland die Symptome, die durch
diese Krankheit ausgelöst werden adäquat behandeln?
Armin: Ja, sie
können es, aber sie tun es nicht, weil sie aufgrund der alten Leitlinien der Neurologen, Dermatologen und Rheumatologen in die Irre geführt werden. All diese "Leitlinien" sind nur Empfehlungen, die auf schwachen Evidenzen beruhen. Die Ärzte wissen das nicht und glauben der Ansicht, dass es keine chronische Borreliose gebe.
Wir, als eine Minderheit der Ärzte, die sich mit Lyme-Borreliose auskennen, wissen durch spezielle Labortestergebnisse, dass nahezu alle Patienten noch Borrelien-Aktivität in ihrem Blut haben.
Eine Situation, die sich nach weiterer antibiotischer Strategie, insbesondere gegen Co-Infektionen, verbessert. Korrespondierend hierzu bessern sich die klinischen Symptome durch längere
antibiotische Therapien bei vielen Patienten mit ungeklärten Syndromen wie Rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie, Parkinson, Demenz, CFS, ME, Arthritis, CTS, Autismus, Multiple Sklerose und
Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto. Es gibt wirklich kein hohes Risiko,
wenn man Patienten langfristig mit Antibiotika behandelt, vorausgesetzt man kontrolliert das Organsystem und substituiert die Darmflora. Der Hauptfehler liegt darin, dass man Patienten mit einer
frischen Borreliose nach der kurzen 1 - 2-wöchigen Antibiotikatherapie nicht länger beobachtet. Viele von ihnen werden ohn weitere Verlaufsbeobachtung ernsthaft krank nach dieser
Therapie.
In Deutschland
dauert es etwa 3-5 Jahre bis eine chronische Lyme-Borreliose diagnostiziert wird. Die Patienten laufen von Arzt zu Arzt, treffen aber auf keinen auf chronische Borreliose spezialisierten
Arzt. Das verursacht sehr hohe sozioökonomische Kosten für
nicht-diagnostizierte chronische Borreliose-Patienten oder co-infizierte Patienten.
Carsten: Die Mehrheit der deutschen Ärzte behandeln Borreliose-Patienten nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ( Deutsche Gesellschaft für Neurologie) oder der Deutschen
Gesellschaft für Rheumatologie. Diese Richtlinien basieren auf den IDSA-Richtlinien. Leider werden viele Patienten, die an chronischen zeckenübertragenen Krankheiten leiden
untertherapiert.
Glücklicherweise hat die Zahl der Ärzte, die
Lyme-Borreliose und ihre Co-Infektionen ernst nehmen in den letzten Jahren zugenommen. Diese Ärzte sind in der "Deutschen Borreliose Gesellschaft" (Deutscher Verband für Lyme-Borreliose ) organisiert. Die DBG gibt ihre eigenen Leitlinien heraus, die im Wesentlichen auf den ILADS-Leitlinien beruhen.
Insgesamt ist es für deutsche Ärzte wesentlich einfacher Borreliose-Patienten zu
behandeln. Jeder Arzt ist unabhängig. Man hat eine lebenslange Befugnis, den Arztberuf auszuüben, die nur sehr schwer zu entziehen ist.
Davon profitiert die Behandlung der Borreliose-Patienten.
Welche Präventionsmethoden nutzt man gegenwärtig in Deutschland? Vom Präventionsstandpunkt aus
betrachtet: Was müsste noch getan werden? Ist ein Impfstoff machbar?
Armin: Die Impfung
könnte eine gute Sache sein, aber es wird eine passive Immunisierung sein und niemand weiß, welchen Antikörper-Titer man benötigt und ob in welchen Zeiträumen man die Impfung wiederholen/steigern
muss. Daher wird es noch 5 - 10 Jahre dauern, bis wir eine Borreliose-Impfung haben werden.
Wir legen sehr viel Wert auf die Prävention/Verhinderung von Zecken- und anderen Insektenstichen durch Repellents, das Tragen der richtigen Kleidung, durch Informationen über die
Expositionsrisiken und über die Symptome von frischen und chronischen Infektionen. Aber es muss
noch mehr getan werden, um weltweit das Bewusstsein für die Risiken von Zeckenstichen bekann zu machen, gerade in Ländern, in denen sich die Bevölkerung der Risiken nicht bewusst ist, wie z. B.
Irland. Wir alle
wissen, dass es nicht zu 100%ige Prävention geben kann, aber wenn Sie wissen, dass eine Sommergrippe ein mögliches Zeichen für eine frische Borrelien-Infektion sein kann, dann würde das bereits
vielen Patienten und Ärzten helfen.
Übersetzung B. Jürschik-Busbach © 2013
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In den nächsten Folgen werden wir uns noch mit Borreliose in Frankreich, Kanada, Australien und Finnland beschäftigen.
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