Borreliose und Antibiotika – Standortbestimmung und quo vadis?

Wenn ein Forscher, dessen Ruhm auf der Entdeckung einer lebensrettenden Substanz beruht, vor dem übermäßigen Einsatz eben dieses Stoffes warnt, muss etwas Besonderes dahinterstecken. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass man sonst auf ein großes Problem zusteuern werde. 1945 warnte der Bakteriologe Alexander Fleming in einem Zeitungsinterview vor dem übermäßigen Einsatz von Penicillin. Damit wollte er die Entwicklung von Resistenzen verlangsamen. 1928 hatte Fleming das Antibiotikum selbst entdeckt.

Etliche Erreger entgehen inzwischen zunehmend der Wirkung von Antibiotika. Wissenschaftler haben Sorge, dass es bald keinen Nachschub mehr an diesen Medikamenten geben könnte, die vielen Patienten das Leben retten. Schuld ist vor allem die Tiermast – immerhin setzt kein anderes Land in Europa auch nur annähernd so viel Antibiotika in der Tiermast ein, wie Deutschland.

 

Absurdistan: Jedes Masthuhn erhält Antibiotika – schwerkranke Borreliose-Patienten häufig nicht

 

1734 Tonnen Antibiotika wurden Tieren in Deutschland im vergangenen Jahr verabreicht. Damit ist die Bundesrepublik mit großem Abstand Spitzenreiter in Europa, Frankreich folgt mit etwas mehr als 1000 Tonnen auf Platz zwei vor den Niederlanden mit 514 Tonnen (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit). Das alles führt zu der völlig absurden Situation, dass in Deutschland nahezu jedes Masthuhn Antibiotika erhält, schwerkranken Borreliose-Patienten in der Spätphase diese jedoch aufgrund mangelnder Kenntnisse und Bias-verzerrter Leitlinien vorenthalten werden.

Antibiotika haben sich seit der Einführung von Penicillin in den 1940er Jahren zu einem der Grundpfeiler der modernen Medizin entwickelt. Sie sind die Grundlage der Behandlung bakterieller Infektionen bei Menschen und Tieren. Man stelle sich nur einmal vor, wie Operationen und schwerwiegende Infektionen ohne wirksame Antibiotika verliefen. Siehe auch ergänzend „Irrglauben bei Antibiotika“.

 

Allerdings wird die erfolgreiche Behandlung bakterieller Infektionen aus zwei Gründen immer schwieriger: Zum einen gibt es immer mehr Antibiotika-resistente Erreger, sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin,  zum anderen hat die Zahl der Neuentwicklungen von Antibiotika seit den 1970er Jahren kontinuierlich abgenommen. Es gibt so gut wie keine neuen Wirkstoffklassen mehr und Pharmafirmen forschen nicht gerade emsig auf diesem für sie wenig profitablen Gebiet.

 

Forscher fordern mehr Anstrengungen – auch von der Pharmaindustrie

 

Heute sind Flemings Befürchtungen längst Wirklichkeit geworden – und die Aufrufe zu einem anderen Umgang mit diesen Medikamenten eindringlicher. So bereitet nicht mehr nur die Unempfindlichkeit vieler Mikroben gegenüber den Arzneien Sorgen, sondern auch die Tatsache, dass heute nur noch sehr selten gelingt, wofür Fleming berühmt geworden ist: neue keimtötende Stoffe zu entdecken. Daher sollten in der Entwicklung neuer Antibiotika andere Wege ausprobiert und die Zulassungsbedingungen vereinfacht werden. Das fordern die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) und die Hamburger Akademie der Wissenschaften in einer gemeinsamen Stellungnahme: http://www.biotechnologie.de/BIO/Redaktion/PDF/de/Veranstaltungen/stellungnahme-akademien,property=pdf,bereich=bio,sprache=de,rwb=true.pdf

 

Seit über 20 Jahren besteht eine große und vorerst andauernde Dis-
krepanz zwischen dem Bedarf an neuen Antibiotika und der Verfügbarkeit neuer Substanzen. Parallel dazu hat sich die Pharmaindustrie aus der Antibiotika-Forschung weitestgehend zurückgezogen. Der Rückzug vieler Unternehmen aus der Erforschung und Entwicklung von Antibiotika erfolgte meist aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Die Rentabilität von Investitionen in die Entwicklung von Antibiotika ist aufgrund hoher Kosten – die durchschnittlichen Entwicklungskosten für ein
Medikament liegen bei etwa 1 Milliarde US-Dollar –, unsicherer Ertragsaussichten und hoher regulatorischer Hürden nur gering oder nicht mehr gegeben. Mit der Entwicklung von symptomlindernden Medikamenten bei chronischen Erkrankungen lassen sich, bedingt durch die lange Verabreichungsdauer und den steigenden Bedarf in einer alternden Gesellschaft, deutlich höhere Renditen erzielen als mit kurzzeitig kurativen Antibiotika.
 
Hinzu kommt, dass es aus Unternehmenssicht sinnvoller ist, ein Breitbandantibiotikum zu entwickeln; aus medizinischer Sicht wäre ein auf einen spezifischen Erreger zugeschnittenes Antibiotikum jedoch besser, was wiederum die Renditeaussichten schmälert. Empfehlungen, den Einsatz von Antibiotika insgesamt stärker einzuschränken, führen mit Sicherheit auch nicht zu erhöhten Anstrengungen der Pharmafirmen.
 

Borreliose und Antibiotika – quo vadis?

Der Kieler Biochemiker Professor Jens-Michael Schröder ist auf der Suche nach neuartigen Antibiotika, gegen die Krankheitserreger keine Resistenz entwickeln. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligte ihm dafür nun ein Reinhart Koselleck-Projekt und unterstützt seine Arbeit in den kommenden fünf Jahren mit 1,25 Millionen Euro. Die Gutachter sahen Schröders Vorhaben als so spannend an, dass schon die Überprüfung der Idee an sich als lohnenswert eingestuft wurde – ganz zu schweigen vom Erfolgsfall, in dem die gewonnenen Erkenntnisse medizinisch sehr bedeutsam wären. “Der Antrag enthält drei originelle Hypothesen”, erläutert Schröder, “die ‘Nano-Nadeln’, ‘Trojanische Pferde’ und neue Antibiotika.”

 

Um diese Ansätze zu verstehen, sind die Strategien wichtig, mit denen Bakterien Resistenzen gegen herkömmliche Antibiotika ausbilden. Einige Krankheitserreger deaktivieren die Antibiotika durch Stoffwechselprozesse, andere entledigen sich ihrer schnellstmöglich durch ‘Herauspumpen’ oder nehmen sie gleich gar nicht mehr auf. Um diese Methoden zu unterlaufen, hat sich Schröder verschiedene Ansätze überlegt. So könnten sich Haut-Eiweiße durch Kontakt mit gefährlichen Bakterien in neuen, größeren Einheiten zusammenlagern, die mikroskopisch kleinen Nadeln gleichen. Diese ‘Nano-Nadeln’ würden die Krankheitserreger dann im Prinzip erstechen. Neben diesem mechanischen Ansatz verfolgt der Biochemiker auch eine an das Modell ‘Trojanisches Pferd’ angelehnte Methode. Bei dieser Art der Bekämpfung von Krankheitserregern würden die Bakterien von der Haut abgesonderte Stoffe nichts ahnend aufnehmen, die sich erst dann in Antibiotika umwandeln und sie so von innen töten. Als Drittes folgt Schröder der Spur, dass die (Schleim-)Haut auf ihrer Oberfläche in Sekreten, Schleim und Schweiß besondere Antibiotika bereitzustellen scheint, die in den Bakterien eine Schwachstelle treffen und damit eine Resistenzbildung unmöglich machen.


Überhaupt scheint es sinnvoll zu sein, ausgetretene Pfade zu verlassen. Heidelberger Wissenschaftler haben entschlüsselt, wie und warum sich Bakterien selbst zerstören. Durch selbstproduziertes Gift reagieren die Erreger unter bestimmten Stressbedingungen mit Selbstmord. Die Wissenschaftler haben jetzt die Funktionsweise des Giftes aufgeklärt, das für diesen sogenannten programmierten Zelltod verantwortlich ist. Es löst die Umwandlung von Bestandteilen der Zellmembran in tödliche Substanzen aus. Dadurch platzen die Bakterien beim Versuch, sich zu teilen. Medikamente, die diese Wirkstoffe nutzen, könnten zu einer neuen Klasse von Antibiotika avancieren, sagen die Forscher.

Wird es einen Rückfall in eine Situation geben, die bis zur Einführung des Penizillins in den 1940er Jahren herrschte? Diese Drohung steht zumindest im Raum.

 

Mehr Forschung mit Naturstoffen geplant

Die Ärzte brauchen neue Substanzklassen, die den Bakterien auf andere Weise als bislang schaden. “More of the same” (“Mehr vom Gleichen”) hilft nicht weiter. Doch lediglich vier der zwischen 2000 und Oktober 2012 in den USA und Europa zugelassenen Substanzen basieren auf neuen Antibiotika-Klassen, und diese helfen nur gegen grampositive Erreger.

Doch was tun im Kampf gegen die widerspenstigen Keime? Mehr als zwei Drittel aller Antibiotika werden aus Naturstoffen entwickelt oder sind selbst Naturstoffe. Die Forschung sollte vermehrt in diesem Bereich erfolgen. Und welche Eigenschaften beim Wirt der Bakterien – also bei Menschen oder Tieren – spielen eine Rolle für die Resistenzen?

Ein anderer Ansatz sind Nanopartikel gegen bakterielle Infektionen.

Was auch immer unternommen wird – es ist allerhöchste Zeit! Wenn wir alle Pech haben, schätzen Experten, wird es ein Zeitfenster von 10 Jahren geben, in dem es für Patienten sehr sehr düster aussehen wird. 10 Jahre, das wird die Zeit sein zwischen der Entdeckung neuer Wege und Wirkstoffklassen und der Zulassung. Wollen wir hoffen, dass David Livermore vom Antibiotika-Resistenz-Monotoring Labor London, England falsch liegt. Er sagt: „Es ist naiv zu glauben, dass wir gewinnen können …“

 

B. Jürschik-Busbach © 2013

 

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Weitere Quellen:
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1438422113000635

 

http://insidestorey.blogspot.de/2013/09/stephen-buhner-against-drug-resistant.html

 

http://www.prometheusbooks.com

/index.php?main_page=product_info&cPath=57_187&products_id=1932&zenid=s9k3q6bcsf5iq5unhldmcpol85

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